Heidis Aufenthalt an Branksome Hall (2009/10)

Toronto, Ontario, Kanada

Porträt

Hallo, mein Name ist Heidi, ich komme aus Hofheim, einer kleinen Stadt in der Nähe von Frankfurt und werde in ungefähr einer Woche meine Reise nach Kanada antreten. Dort werde ich die Mädchenschule Branksome Hall besuchen, die in Downtown Toronto liegt.

Für mich war eigentlich schon ziemlich lange klar, dass ich ein Auslandsjahr machen werde. Wahrscheinlich, weil meine Schwester mit guten Erfahrungen nach einem Jahr aus ihrer Schule in England zurückgekommen ist und weil es einfach eine einmalige Chance ist, die man ergreifen muss, nicht nur um neue Leute von überall aus der Welt kennenzulernen und sein Englisch zu verbessern, sondern auch um selbstständig und unabhängig zu werden. Es ist einfach die Gelegenheit mal etwas Neues auszuprobieren. Auf ssb Nottebohm bin ich zum Einen durch das Internet gekommen, zum Anderen haben Bekannte uns diese Organisation empfohlen.

Da mein Abenteuer am 29. August beginnt, rennt mir inzwischen ein wenig die Zeit davon. Ich stecke bis zum Hals in Vorbereitungen. Diese bestanden bisher aus dem Lesen englischer Bücher, dem Anschauen von Chemie- und Mathevokabeln, wobei ich mich damit auch noch länger hätte beschäftigen können (haha) und natürlich dem Vorbereitungstreffen in Heidelberg. Die vier Tage waren mir persönlich eine große Hilfe, es hat Vorfreude hervorgerufen, aber auch viele Fragen geklärt und Ängste beseitigt. Was ich vor allem auch wichtig fand, dass das Vorbereitungstreffen schon wie ein kleiner Vorgeschmack auf das Auslandsjahr war, zwar war es nur eine Stunde von daheim entfernt und es dauerte nur 4 Tage, jedoch kam man dort ganz alleine hin und kannte niemand von den anderen Jugendlichen. Das Gute war einfach, dass man sofort Anschluss gefunden hat, auch wenn man niemanden kannte. Das hat mich zuversichtlich gestimmt, dass es in Kanada dann auch so sein wird. Die verschiedenen Sessions waren sehr informativ und auch die Stunden mit Professor van den Bergh werden sicherlich das ein oder andere Mal hilfreich sein. Das Vorbereitungstreffen hat mir das Auslandsjahr auf jeden Fall ein Stückchen näher gebracht.

Jedoch kommt mir alles inzwischen wieder etwas unwirklich vor. Ich kann mir einfach gar nicht vorstellen, dass ich demnächst einfach in einem Flieger nach Toronto sitzen werde und dort auf eine Schule gehe, die für das nächste Jahr mein Zuhause sein wird. Aber dennoch freue ich mich und bin sehr aufgeregt. Zu den bisherigen Vorbereitungen ist jetzt auch noch das Packen hinzugekommen, welches mir dann doch irgendwie bewusst macht, dass es sehr, sehr bald losgeht. Aber trotz allen Ängsten und der Aufregung bin ich immer noch fest davon überzeugt, dass ein Auslandsjahr die richtige Entscheidung war. Natürlich werde ich mein Zuhause vermissen, meine Freunde und meine Familie und es gab schon den einen oder anderen Moment, wo vielleicht Zweifel aufkamen, aber ich bin trotzdem sehr zuversichtlich und hoffe einfach, dass es ein tolles Jahr wird. Ich freue mich auf jeden Fall auf das Auslandsjahr!

Toronto

Vor ziemlich genau 6 Wochen bin ich hier in Toronto in Kanada angekommen, wobei es sich erst viel kürzer anfühlt. Wahrscheinlich, weil ich einfach rund um die Uhr beschäftigt bin.

Als ich vor 6 Wochen hier angekommen bin und die ersten paar Tage in den 1½ Wochen Vorbereitungszeit hier verbracht habe, habe ich mich schnell an die Leute, das Essen, mein Zimmer, das Teilen von Duschen und das Englischsprechen gewöhnt. Alle waren von Anfang an super nett zu mir und ich habe schnell Anschluss gefunden, wobei nicht alle Mädchen gleich offen waren. Das Essen war wider Erwarten super gut und auch mein Zimmer war besser als ich es erwartet hatte. Toronto ist eine ziemlich coole Stadt und das Beste ist, dass ich mich in 5-10 Minuten zu Fuß in der Stadtmitte befinde. Die Vorbereitungszeit war super hilfreich, weil man nicht gleich mit dem neuen Lebensstil und auch noch der Schule konfrontiert wurde.

Schuluniform

Als dann die Schule angefangen hat, wurde das Ganze etwas schwieriger, weil ich so gut wie niemanden kannte und es nicht ganz einfach war, Tagesschüler kennenzulernen, weil hier doch eine gewisse Lücke besteht zwischen Boarding- und Tagesschülern. Dazu kam noch, dass die Menge der Hausaufgaben, im Vergleich zu Deutschland, richtig viel ist. Aber bisher hatte ich eigentlich nie Probleme sie zu erledigen, da man durch die 2 Stunden Studyzeit jeden Tag unter der Woche gezwungen ist zu arbeiten. Die ersten paar Tage war es etwas ungewohnt, 2 Stunden Hausaufgaben machen zu müssen, aber für mich hat es sich als sehr hilfreich herausgestellt, da man in der Studyzeit eh nichts anderes zu tun hat und somit einfach seine Hausaufgaben erledigen kann. Was dann doch etwas ungewohnt war, war die Schuluniform, aber nicht im negativen Sinne. Es ist einfach super praktisch nicht jeden Tag darüber nachdenken zu müssen, was man anziehen soll, sondern einfach in die Schuluniform zu schlüpfen. Außerdem ist sie für eine Schuluniform sogar richtig schön und die Lehrer sind nicht allzu streng damit.

Schülergruppe

Um meine CAS (Creativity Action Service) Stunden, die man für das IB braucht, zu bekommen bin ich in das Cross Country Team eingetreten und bin nach einem Vorsingen Mitglied im Jazz- und Chamberchoir geworden. Bisher machen alle drei Sachen viel Spaß, auch wenn ich für Cross Country morgens sehr früh aufstehen muss und mich, weil es ja jetzt auch doch immer kälter wird, immer wieder überwinden muss, nicht weiter zu schlafen. Vor ca. 2 Wochen hat meine Stufe für 3 Tage einen Trip gemacht, was wirklich dazu beigetragen hat, dass man auch die Tagesschüler besser kennengelernt hat.

Dorm-Gemeinschaft

So im Großen und Ganzen geht es mir sehr gut hier, das große Heimweh hat mich auch (noch) nicht überfallen, weil ich einfach rund um die Uhr mit Leuten zusammen bin und beschäftigt bin, sodass ich gar keine Zeit für Heimweh habe. Das Internatsleben ist richtig cool, weil es einfach nie langweilig wird, wenn man mit seinen Freunden zusammen in einem Haus lebt. Natürlich ist es schon eine große Umstellung von einem Leben zu Hause mit der Familie zu einem Leben, in dem man ziemlich viel auf sich alleine gestellt ist. Aber bisher läuft alles richtig gut und ich bin immer noch der Meinung, dass es die richtige Entscheidung war, hierher zu kommen.

Im Moment befinde ich mich in Deutschland, weil die Schule über die Ferien geschlossen hat und ich mir außerdem dachte, dass es vielleicht ganz schön ist, Weihnachten mit der Familie zu verbringen. Es war schon etwas komisch, nach fast 4 Monaten wieder nach Hause zu gehen, aber ich habe mich tierisch gefreut. Meine Familie war ja zwischendurch schon mal zu Besuch bei mir in Toronto, was ziemlich gut geklappt hat (d.h. dass ich nicht danach deswegen Heimweh bekommen habe usw.), aber meine Freunde und mein Zuhause hatte ich ja doch für längere Zeit nicht gesehen. Aber als ich dann frühmorgens aus dem Flieger gestiegen bin und hier die letzten Tage verbracht habe, war eigentlich alles wie früher.

Jetzt aber zurück nach Kanada: So ein paar Sachen haben sich verändert seit dem letzten Bericht. Die Cross Country Zeit ist zu Ende und ich widme mich (endlich mal wieder) dem Badminton, was ich in Deutschland für viele, viele Jahre gespielt habe. Man merkt irgendwie schon, dass die Schüler einen Sport immer nur für 2-3 Monate im Jahr spielen, wenn man das Ganze mit dem im-Verein-spielen vergleicht, was dort im Gegensatz zu Deutschland nicht so üblich ist. Das Wetter hat sich auch verändert, wenn auch gar nicht so sehr. Es gab bisher nur eine einzige richtig kalte Woche (so ca. -12°C) und nur einmal (!) Schnee. Mir wurde aber gesagt, dass das nicht normal ist (haha).

Die Schule fällt mir immer leichter, es ist viel Arbeit nach wie vor, wobei es Wochen gibt die sind ziemlich entspannt; man bekommt wenig Hausaufgaben, was relativ ist, schreibt keine Test und hat auch keine anderen allzu großen Assignments. Aber dann gibt’s noch Wochen, die müssen einfach nur so schnell wie möglich hinter sich gebracht werden; Tests, Assignments, Präsentationen und das alles auf einmal. Die Lehrer scheinen gerne alle Sachen in eine einzige Woche zu legen. Aber das Ganze ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. Eigentlich ist es sogar ziemlich in Ordnung und einfach nur Gewöhnungssache denke ich und es lässt sich auf jeden Fall meistern. Das Englische im Unterricht macht es eigentlich nicht wirklich schwerer, man gewöhnt sich schnell dran und kann auch mal in manchen Fächern (wie z.B. Geschichte) ein bisschen Extrazeit bei Tests, z.B. für das Lesen von Dokumenten, bekommen. Französischunterricht ist etwas merkwürdig auf Englisch, weil erstens die Kanadier einen ziemlich lustigen Akzent haben und zweitens es etwas verwirrend sein kann über mehrere „Sprachecken“ zu denken (Deutsch, Englisch, Französisch).

Freundinnen

Die Tagesschüler sind offener geworden, aber es ist immer noch nicht ganz einfach, weil viele einfach den Anschein geben, keine neuen Freunde zu brauchen und doch etwas Vorurteile gegenüber Boardingschülern haben (weshalb auch immer). Aber natürlich gibt es auch sehr viele, die offen und nett sind. Dadurch, dass man sozusagen 7 Tage die Woche 24 Stunden am Tag miteinander verbringt, lernt man sich in der Residence (da wo die Internatsschüler leben) immer besser kennen. Natürlich gibt es auch kleine Streitereien, aber das ist ja schließlich nur menschlich.

Skifahren

So, hier in Deutschland fange ich dann bald sogar wieder mit Packen an, denn in 5 Tagen geht’s wieder zurück in ein komplett anderes Leben. Es ist etwas komisch so zwei Leben zu haben, wenn man in Kanada ist, kann man sich gar nicht mehr vorstellen wie es in Deutschland ist und andersherum genauso. Aber ich bin natürlich wieder aufs Neue gespannt und freue mich schon zurückzugehen. In 1½ Wochen gehe ich sogar Skifahren in Kanada!!

Das Jahr ist nun fast vorbei und in einer Woche heißt es schon „Goodbye Canada, hello Germany!“. Wenn ich daran denke, dass ich vor 9 Monaten hierhergekommen bin, kann ich mir gar nicht erklären wie schnell die Zeit vergangen ist und dass ich wieder in mein altes Leben zurückkehren werde, fast so als wäre nichts gewesen. Natürlich freue ich mich wahnsinnig auf zu Hause, mein Zimmer, meine Freunde, meine Familie, ALLES, sonst hätte ich mich ja nicht dazu entschieden, dann doch nach einem Jahr nicht mein IB zu vervollständigen sondern an meine alte Schule in Deutschland zurück zu kommen um mein Abitur zu machen. Ab und zu fragt man sich natürlich schon, wie es sein würde wenn man einfach noch ein Jahr länger machen würde und dann nach 12 statt nach 13 Jahren mit der Schule fertig zu sein, aber ich glaube immer noch, dass ich für mich die richtige Entscheidung getroffen habe. Ich habe einfach das Gefühl, dass ich, obwohl ich mich sehr wohl fühle hier in Branksome und es eine super Schule ist, noch mal für zwei Jahre nach Hause gehöre. Außerdem heißt es ja, man soll aufhören wenn’s am schönsten ist, und diese letzten Wochen oder sogar Monaten waren echt die tollsten des ganzen Jahres. Man vertieft seine Freundschaften nicht nur mit den Mädels, mit denen man zusammen lebt, die fast sogar schon zu Schwestern geworden sind, sondern auch mit den Daygirls.

Dance

Dazu habe ich in den letzten paar Monaten viel erlebt: von dem Oster-Wochenende bei einer kanadischen Familie, über Filmabende mit Freunden, Shoppingtouren, lange Gespräche bis tief in die Nacht in anderer Leute Zimmern, Wasserschlachten, Showerparties, einem verlängerten Wochenende in einem kanadischen Cottage am See mit Fahrrad- und Kanufahren, Tennis, Lagerfeuer, Wasserski, Wakeboarding und natürlich jede Menge Essen, School-Dances und Cupcake-Parties. Auch habe ich gerade in diesen letzten paar Monaten noch immense Fortschritte mit der englischen Sprache gemacht: das Englischsprechen kommt inzwischen wie von selbst und ganz selten mal sucht man noch nach einer Vokabel, aber es fühlt sich schon fast an wie die eigene Sprache.

Bootsausflug

Jetzt stecke ich gerade mitten in den Examen. Für diejenigen, die das alles noch vor sich haben: Examen sind wirklich nur halb so schlimm wie man erwartet; natürlich muss man lernen, aber wenn man sich die Zeit richtig einteilt ist das alles kein Problem. Deutsch, Mathe und Englisch habe ich jetzt schon hinter mir und Geschichte, Chemie und Französisch stehen noch an. Zu den Examen kommen jetzt auch so langsam Abreisevorbereitungen dazu. Wenn ich daran denke, dass ich in 8 Tagen schon nach Hause fliege, werde ich echt ziemlich traurig. Man gewöhnt sich so sehr an die Umgebung, dass man sich gar nicht vorstellen kann, wieder wo anders zu leben. Aber das war genauso bevor ich hierhergekommen bin und das Einleben kam einfach ganz von selbst.

Lake Ontario

Wenn ich so auf das Jahr zurückblicke war es natürlich nicht immer einfach; viel Schulstress, neue Umgebung und neue Leute an die man sich anpassen muss und viele Regeln, aber es ist eine super Erfahrung, die sich auf jeden Fall lohnt. Ich habe das Gefühl, dass so ein Jahr einen schon irgendwie verändert: nicht nur das Englisch wird besser, sondern man wird auch selbstständiger und, so bescheuert es sich auch anhört, erwachsener; man lernt einfach in dem ganzen Jahr unglaublich viel, was einem in der Zukunft von Nutzen sein wird (unter anderem auch Wäsche waschen und Betten beziehen ;-)). Also, für diejenigen, die das alles noch vor sich haben: Freut euch drauf! Es ist anders, als man es gewohnt ist und manchmal schwierig, aber es ist ne super Sache, von der man unglaublich profitiert!